Annika und ich hatten WASA wieder für uns zwei allein. Wir nahmen uns noch ein paar Tage Zeit, Vorräte und unseren eigenen Energiehaushalt aufzufüllen, dann wollten wir weiter, die andere Seite der Insel erkunden.
Passend zu unseren Plänen klarte der Himmel auf und der tagelange, immer wiederkehrender Regen legte eine Pause ein. Wir lichteten früh morgens den Anker und segelten von Port-Vila einmal um den Süd-Westzipfel der Insel, Devils Point, herum und hinauf bis in die oberste Spitze der anschließenden Havannah Bay.
“Devils Point” in Vanuatu, oder “Punta Mala” in Panama. Jedes Mal, wenn ich um ein Kapp segeln muss, dass es sich irgendwann und irgendwie verdient hat, so genannt zu werden, schrillen bei mir die Alarmglocken: In Panama segelte ich mit Hanna und Emma. Es waren die ersten Seemeilen zusammen und wir wollten zurück nach Panama City. Es hätte ein langer Am-Wind Schlag werden können, aber aufgrund der Starken Strömung kreuzten wir für Stunden auf ein und derselben Linie auf und ab, ohne uns auch nur ansatzweise vorwärts zu bewegen.
Hier in Vanuatu fanden wir uns trotz des günstigen Segelwetters plötzlich in 2-3 Meter hohen Wellen wieder. Wir fuhren vor dem Wind und surften von Wellenberg zu Wellental, was die Fahrt spannend, aber auch sehr schnell machte. Wir lernten erst später, dass wir zur bestmöglichen Tide, genau bei Hochwasser, um Devil Point herumfuhren. Das war aber reiner Zufall und es gab schon andere Schiffe vor uns, die weniger Glück hatten und Schiffbruch erlitten.
In Havannah Bay war schon von weitem das Wrack am Ende der Bucht zu erkennen. „Ah! Wir sind schon super nah!“, dachten wir für eine ganze Weile. Doch dann stellte sich heraus, dass wir noch gar nicht so nah waren, das Schiff war einfach nur ziemlich groß!
Am Strand lag nicht irgendein Segelboot, sondern eine 50 Meter lange Superyacht! – Die BLUE GOLD.
Während dem Hurricane Pam, 2015, wurde sie am Anker hängend von einem anderen Motorboot gerammt. Die Kraft des Aufpralles, fünf Meter hohe Wellen und Winde um die 300km/h, ließen erst die Steuerbord- und kurz später auch die Backbord Ankerkette brechen.
Die kleine Crew, die während des gesamten Sturmes an Bord war, überlebte. Die BLUE GOLD aber lag weit oben auf dem Riff von Mosso Island.
Auf mich haben Wracks immer eine magische Anziehungskraft! Zum einem die Geschichten, die hinter einem solchen Desaster stecken, zum anderen die Hoffnung irgendetwas brauchbares an Bord zu finden.
Am nächsten Morgen machten wir uns also auf, das Wrack zu erkunden. Ich hatte meinen Rucksack gepackt: Trinkflasche und Sonnenhut; Schraubenschlüssel und Zangen. Bevor wir allerdings an Bord kletterten, gingen wir in dem kleinen Dorf an Land und fragten nach Erlaubnis, uns ein wenig umsehen zu dürfen.
Wir kletterten an Bord und machten beim Öffnen und Schließen der schweren Stahlluken offensichtlich einen heiden Krach. Denn schon nach kurzer Zeit konnte ich aufgeregte Stimmen auf uns zukommen hören. Ein paar der Locals hatten sich versammelt und einer von ihnen kam zum Strand herab.
Laut rufend und wild gestikulierend fragte, was wir auf seinem Boot zu suchen hätten. In der Innenseite seines Armes hatte er ein Messer versteckt.
Mit dieser Reise erfülle ich mir meinen Traum. Wenn auch du mich dabei unterstützen möchtest freue ich mich sehr über eine symbolische Einladung zu einer Brotzeit!
Vielen Dank!
Sofort versuchte ich ihn aufzuhalten! Auf keinen Fall wollte ich in die Nähe des Messers gelangen. Von hoch oben auf dem Wrack stehend rief ich ihm entgegen: „Wir haben schon bei dem jungen Mädchen Bescheid gesagt und Eintritt gezahlt!“, „Wir kommen später noch einmal vorbei und stellen uns richtig vor!“. – Es half! Der Mann kam nicht näher du nach einigem hin und her durften wir unsere Erkundung fortsetzen.
Später, aus der Nähe betrachtet, machte der Mann mit dem Messer gar nicht mehr so einen gefährlichen Eindruck. – im Gegenteil! Andrew, so stellte sich der Junge vor, ist 22 Jahre alt, und hat im Dorf die Aufgabe, sich um das Wrack zu kümmern und ungebetene Gäste fernzuhalten. Immer wieder würden Leute (wie ich) kommen und versuchen Dinge aus dem Inneren der Yacht mitzunehmen.
Seit ein paar Jahren jedoch gehört die Jacht offiziell dem Dorf und sie wollen den Erlös von verkauften Teilen letztendlich dazu nutzen, die Bergung des Wracks finanzieren zu können.
Wir machten einen Spaziergang und Andrew zeigt uns das Dorf. Wir verstanden wir uns sofort richtig gut und als Andrew erzählte, dass er noch nie auf einem echten, segelnden Segelboot war, luden wir ihn spontan ein, am nächsten Tag einen Schlag mit uns zu segeln.
Obwohl wir nur von einem Ankerplatz zum nächsten fuhren, hatten wir einen heiden Spaß! Wir lichteten den Anker gemeinsam, jeder konnte Mal steuern, Segel rauf, Segel runter.
Nachdem wir WASA wieder sicher verankert hatten, fuhr uns Andrew mit seinem Motorboot am Strand entlang und zeigte uns die besten Plätze zum Fischen und Lagerfeuer machen. Wir ernteten ein paar frische Kokosnüsse und grillen Andrews selbstgefangenen Fish „vanuatustyle“ auf dem Boot. – Der Tag war der Beginn einer richtig guten Freundschaft!
Während wir Andrew kennen lernten, war es langsam an der Zeit, sich auf Annis Abreise vorzubereiten. Wir organisierten einen Shuttle zum Fughafen, Anni packte ihren Rucksack und am letzten Abend gingen wir in einem der Resorts noch einmal richtig gut essen. Inklusive kaltem Weißwein, Käse auf den Gnocchi, einen Espresso zur Nachspeise.
Für mich war es schwer, mich wirklich auf den Abschied einzulassen. „Tschüss“ zu sagen, gehört für mich zwar mittlerweile fast schon zum Alltag, aber so richtig bewusst wurde mir die Verabschiedung erst, als ich vom Flughafen wieder zurück auf dem Boot angekommen war: Niemand da. Keine fremden Bewegungen. Kein Grund laut zu sprechen – niemand da der zuhört.
52 Stunden lang dauerte Annis Flug von Vanuatu nach Deutschland! Das unterschreibt meine Vorstellung, dass Vanuatu so ziemlich das Weiteste ist, wie das ich von Zuhause entfernt sein könnte.
Meine nächste Woche auf Efate verbrachte ich meistens zusammen mit Andrew. Wir gingen fischen, kochten Abendessen zusammen, machten Lagerfeuer, besuchten den Garten und halfen bei ein paar kleinen Aufgaben im Dorf. Wir verstanden uns am Ende so gut, dass wir Island – Shirts miteinander tauschten und uns gegenseitig das Versprechen gaben, uns irgendwann, in ein paar Jahren, wiederzusehen!
Es war wieder einmal an der Zeit, Segel zu setzen und „tschüss“ zu sagen.