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Im Passat

von | Mai 9, 2022 | Pazifik

Sonntag, 27.03.22. Etwa 300 Seemeilen südwestlich von Galapagos:

Voller Vorfreude auf die nächsten Segeltage schlüpfte ich frühmorgens in die Achterkoje, um die zweite Genua hervorzuholen. Sie lagerte dort fest verzurrt mit den anderen Segeln und einigen Reservekanistern voll Wasser.

Der Wind blies aus Südost, traf uns also ziemlich achterlich. Es hat sich bewährt auf diesem Kurs Passatsegel zu setzen: Auf der Rollreffanlage am Vorstag werden zwei Genuas hochgezogen und anschließend mit je einem Baum zur Seite ausgebaumt.- Die Segel stehen weit offen und bieten dem Wind die maximale Angriffsfläche. Wenn der Wind zu sehr zu nimmt, reicht es an der Reffleine zu ziehen und das Segel wickelt sich um das Vorstag herum auf- Die Segelfläche wird kleiner. Flaut er wieder ab, dann öffnen wir die Klemme und das Segel rollt sich von selbst wieder aus. Das Beste daran: Wir müssen nicht einmal das Cockpit verlassen und können die Segelfläche auch nachts gefahrlos an den Wind anpassen.

Nur das Setzen ist jedes Mal wieder ein Kraftakt! Der Rutscher klemmt an einigen Stellen am Vorstagprofil und die Segel schlagen während des Manövers unkontrolliert im Wind. Bis die 60 Quadratmeter oben, die Bäume eingehängt und mit Topnant sowie Niederholer gesichert sind, schuften wir locker eine dreiviertel Stunde.

Nur blieb das Wetter leider doch nicht so konstant wir gedacht: Regen und Sonne wechselten sich ab und kaum verschwand die Sonne hinter dem Horizont wurde es sogar so kalt, dass ich ohne Pulli und Decken sofort zu frieren begann! Der Wind variierte in seiner Stärke zwischen 6 und 18 Knoten und drehte dabei viel zu oft auf Süd.

So konnten wir den Kurs auf Nuku Hiva nicht halten. Nach drei Tagen verschwanden die Passatsegel wieder unter Deck. Stattdessen kamen klassisch das Großsegel im zweiten Reff und die Große Genua zu Einsatz.

Fliegende Fische landeten Nachts oft an Deck. Vermutlich durch die Beleuchtung verwirrt springen sie zu senkrecht aus dem Wasser und landen auf dem Deck. Sammelt man eine Handvoll, sollen sie frittiert ein gutes Frühstück geben.

Durch den immer wiederkehrenden Regen durchweichten unsere Hosen und Hintern. Das Sitzen auf den nassen Polstern wurde unangenehm und die Flucht nach drinnen versprach auch keine Besserung:

Es wurde schnell stickig und nachts störte man zu alle dem auch noch den Schlafenden in seiner Ruhe.

Durch den drei- Stunden- Wachrhythmus bewegten wir uns an der Grenze des Ertragbaren.  Kleine Störungen in der Nacht reichten aus, um uns den nächsten Tag mit Kopfweh zu vermiesen.

Nach fünf Tagen erreichten wir einen Tiefpunkt. Wie so oft waren es Kleinigkeiten die unausgesprochen zwischen uns standen und das Fass irgendwann zum Überlaufen brachten.

Wir pflaumten uns gegenseitig an und beschuldigten uns gegenseitig, Aufgaben nicht anständig zu erledigen.

So konnte es nicht weitergehen! Ich schlug vor, am nächsten Morgen eine Aussprache anzusetzen.

Jeder von uns hatte dazu eine Nacht lang Zeit, sich seine Punkte zu notieren: „Was müssen wir ändern?“ (Start), „was nervt mich am meisten?“ (Stopp) und „was gefällt mir richtig gut und können wir gerne beibehalten?“ (Continue)

Start; Stopp; Continue! – Habe ich von meinem Onkel.

Anfangs war es zwar ein wenig komisch, aber durch die drei Punkte hatten wir uns einen Rahmen gesetzt, der es uns einfach machte in die Diskussion einzusteigen. Wir kamen richtig in Fahrt und besprachen bis die Sonne schon lange untergegangen war so ziemlich alle Themen, die uns auf dem Herzen lagen.

Die Wirkung war nicht zu übersehen! Seither wurden wir ein klasse Team! Dinge, die uns stören besprechen wir sofort und gehen damit erneuten Auseinandersetzungen aus dem Weg.

Am ersten April war Bergfest! – Wir waren nun zweieinhalb Wochen unterwegs und hatten die Hälfte der Strecke geschafft!

Unser Frischevorrat ging langsam zur Neige, die Gemüsenetze im Cockpit verschwanden und unsere Köpfe freuten sich über den extra Platz. Äpfel und Maracujas waren bereits aufgegessen; die grünen Bananen wurden eine Woche zuvor schlagartig reif. Wir aßen Bananenpancakes zum Frühstück, Bananenbrot zu Mittag und Kochbananen mit Reis zu Abend. Bananen kamen uns zu den Oren raus, aber dennoch mussten wir viele von ihnen über Bord werfen. Eine ganze weitere Woche aßen wir Gurken und Coyoten, ein grünes Gemüse aus Panama das sowohl roh im Salat als auch gekocht im Curry schmeckt.

Zu den letzten überlebenden im Gemüsenetz gehörten Kohl, Limetten und Orangen. (5 Wochen Haltbarkeit nach Einkauf.) Außerdem bunkerten wir 15 Kilogramm Zwiebeln, 10 Kilogramm Kartoffeln,
Yuka, Yams und Kürbisse, die wir in luftigen Kisten unter dem Tisch verstauten und immer noch essen!

Die letzten zwei Eier gab es gespiegelt am Ostermontag- sechs Wochen nach Einkauf; ungekühlt! Der Trick ist, die Eier alle paar Tage zu wenden: Das Eigelb im Ei sackt mit der Zeit nach unten ab. Sobald es mit der Schale in Berührung kommt, fängt es an schlecht zu werden. Durch das Umdrehen verdoppelt sich in der Theorie die Sackzeit.

Über die Küche an Bord lässt sich nicht klagen! Die meiste Zeit gab frisches Obst oder Gemüse. Letzteres oft kombiniert mit Reis, Linsen oder Bohnen; im Eintopf oder als Curry. Wir aßen frisch gebackenes Brot, füllen Wraps, oder backten leckeren Kuchen. Erst am Ende der Reise, als jede Mahlzeit mit Dosen ergänzt wurde, waren sogar die konservierten Pfirsiche ein echtes Highlight!

Langsam gewöhnten wir uns an den Rhythmus des Ozeans!

Das Leben auf dem schaukelnden Boot wurde Tag für Tag einfacher- Tage wurden immer kürzer und begannen schließlich miteinander zu verfließen. Emma hörte Hörbücher, ich las. Wir spielten Stadt- Land- Fluss, Bagammon oder Kniffel.

Außerdem hatte ich mir vorgenommen, auf der Überfahrt die Navigation mit dem Sextanten
zu lernen und hatte mir dafür ein Buch von Bobby Schenk bestellt: „Astronavigation, ohne Formeln- Praxisnah“.

Auf 40 kurzen, aber knackigen Seiten erklärt er mit Skizzen und Beispielen ziemlich anschaulich die Berechnung der Schiffsposition zu Mittag; einem Spezialfall in der Astronavigation. Der Sextant, mit dem sich der Winkel zwischen Sonne und Horizont messen lässt, war bereits an Bord. Bereits nach ein paar Tagen und einigen Übungsaufgaben begann ich dann meine eigenen Messungen: Bei der ersten Messung lag ich noch um 40 Seemeilen daneben, aber schon nach kurzer Zeit hatte ich den Bogen raus und landete von da zuverlässig auf ein bis zwei Seemeilen genau auf meiner Position!

Saucool! – Positionsbestimmung nur mit Hilfe der Sonne! – Ist das nicht Seefahrerromantik pur?

Heut zu Tage bestimmt! Genauso, wie ich es liebe, mittags ein kleines Kreuz auf einer Papierkarte einzutragen; nur um mich freuen zu können, wie weit wir es schon geschafft haben.

Früher war das das tägliche Brot eines jeden Seglers, der sein Schiff sicher in den Nächsten Hafen bringen wollte. Stetig mussten Kurs und Geschwindigkeit im Logbuch festgehalten und auf der Karte gekoppelt werden, wollte man nicht an steilen Felsen der Küste zerschellen. Die Männer und Frauen, die vor dem Zeitalter von GPS über die Meere fuhren, haben meinen vollsten Respekt! Ich habe es jetzt selbst erlebt: Mal kurz nicht aufgepasst; ein Zahlendreher und schon landet man am anderen Ende der Welt! Oder was passiert, wenn just im Moment einer wichtigen Messung eine Wolke den Himmel verdeckt?

Heute schaue ich auf meinen Kartenplotter, sehe meine Position, die Geschwindigkeit und den Kurs; alles auf einen Blick! Und nicht nur das: Gekoppelt mit dem AIS werden mir auch andere Schiffe in der Umgebung angezeigt.

An einem Freitag (08.04.22) poppte auf dem Kartenplotter plötzlich ein kleines grünes Dreieck
auf. Ein Schiff! Es war 17 Meilen entfernt- weit außer Sichtweite- und fuhrt parallel zu uns in Richtung Westen.
Der Empfang war zunächst noch nicht stark genug um Namen oder Art des Schiffes anzeigen zu
können. Bei der nächsten Aktualisierung sah ich mehr:

Name: GREAT CIRCLE; Typ: SEGELN.

Obwohl die Entfernung eigentlich utopisch war, versuche ich über Sprechfunk einen Kontakt herzustellen.
GREAT CIRCLE, GREAT CIRCLE, GREAT CIRCLE, this is WASA – over.“.

Und bekomme prompt eine Antwort: Mareike, Mark und Thomas segeln auf einem Katamaran, einer Outremer 55, nach Nuku Hiva. – Vor gerade einmal 10 Tagen auf den Galapagos gestartet würden sie spätestens in drei weiteren Nuku Hiva erreichen. Wir quatschten noch ein bisschen, verabredeten uns auf ein Bier und wünschten uns dann eine gute weitere Fahrt.

Es war eine schöne Abwechselung vom sonst recht monotonen Alltag.

10ter April, eine Woche vor Ankunft:

Genialer Tag! Der Wind hat in der Nacht stark nachgelassen und voll auf E gedreht. Beim Schichtwechsel haben wir die Genua ausgebaut und fahren jetzt Schmetterling!“

Der Windmesser zeigte in der Früh nur noch 8 Knoten an. Die Wellen laufen von hinten unterm Boot durch und heben uns jedes Mal leicht an.

Kaffe & Kekse, vlt. später eine Runde Sport.“

Da wir uns letztes Mal zu früh gefreut hatten und die Segel gleich wieder bergen mussten warteten wir diesmal noch zwei volle Tage (vlt. Waren wir etwas faul) bis wir die Passatsegel wieder setzten.

Emma beim Arbeiten auf dem Vordeck: Schon nach kurzer Zeit konnte sie sich sicher an Bord bewegen, Segel setzen, bergen, reffen und einstellen!

 

Vorfreude auf die baldige Ankunft stellte sich ein. Ich fing an den Heckkorb und den Relingsgrill zu entrosten und zu polieren. Ich blätterte in Cruising Guides und studierte Revierführer auf meinem Tablet. Es waren perfekte Bedingungen und die Zeit verging wie im Flug! Wie schon auf dem Atlantik dachte ich mir: „Schade, dass es bald vorbei ist!“

Am Morgen des 17ten März waren es nur noch 80 Seemeilen bis zum Ziel und zum ersten Mal
hieß es „Land in Sicht!“. Ua Pou hob sich als erste Insel der Marquesas- Gruppe aus dem Meer heraus. Wir passierten sie kurz vor Sonnenuntergang im Süden. Unser Ziel, die Bucht Taiohae, nur eine Insel weiter, erreichten wir kurz vor Mitternacht. Dank des strahlenden Vollmondes und einer mit Leitfeuern gekennzeichneten Einfahrt war das jedoch kein Problem.

Wir haten die Passatsegel bis zum Ende stehen gelassen und wären Fast an der Einfahrt zur Bucht vorbeigerauscht. Gerade noch so konnte ich auf dem Vordeck die Segel losbinden, Emma das Schiff drehen und wir ohne größere Probleme, motorsegelnd, gegen Wind und Störung, zurück in die Bucht kreuzen.

Es war geschafft!

Der Geruch von Land war stark. Es roch nach Lagerfeuerrauch, feucht, ein bisschen nach Erde. Aber es war auch etwas süßlich- schwer zu beschreiben; aber intensiv. Einige hundert Meter vom Ankerfeld entfernt wurden wir von Niels und Gretje empfangen:

Was für eine Freude!-  Wir haben auf Curaçao zusammen nach Lionfisch getaucht. Jetzt haben sie uns auf dem Tracker verfolgt und begrüßten uns inmitten der Nacht mit frischen Bananen und Grapefruit! Was für ein Empfang!

Wir beeilten uns einen geeigneten Ankerplatz zu finden und genossen schon kurze Zeit das wohlverdiente Ankerbier!